
Wovon anfangen zu schreiben?
Vielleicht, dass tanjas rucksack genau 4 Tage(!) nach ihrer ankunft hier auch den weg hierher genommen hat. Ich hatte es schon geahnt, die amis wollten ihn nicht rausruecken. Oder vielleicht hats dem rucksack so gut in den usa gefallen. Gestern abend hat er noch in salt lake city vielweiberei betrieben.
Weil tanja gestern noch auf ihr gepaeck warten musste, waren wir allein unterwegs in santiago. Wir haben das historische museum besucht. Die geschichte chiles endet in diesem museum am 11.september 1973. Die kaputte brille allendes und 4 kopien internationaler zeitungen von diesem tag beenden die ausstellung. Ein gutes beispiel chilenischer vergangenheitsaufarbeitung. Kein wort oder bild ueber die ergebnisse der sozialistischen regierung vor 73 und erst recht nichts von den verbrechen der pinochet-junta. Anschliessend waren wir bei „citras“ – das ist eine organisation, die sich um die folteropfer und die hinterbliebenen der „verschwundenen“ kuemmert. Beatriz Brinkmann sagte uns, dass die bestrafung der taeter fast immer ausbleibt, dass die opfer kaum oder keine entschaedigung bekommen. Es gab zwar sogenannte „wahrheitskommissionen, es kamen aber nur faelle zur anklage, bei denen es todesopfer gab. Und diese situation haelt 35 jahre nach dem faschistischen putsch und seit 18 jahren demokratie an.
Heute morgen sind wir mit cecilia (unserer gastgeberin) an den rand von santiago gefahren. Vorbei am nationalstadion, in dem 1973 nicht nur viktor jarra, sondern auch andere kommunistInnen, sozialistInnen und antifaschisteInnen umgebracht wurden. Das war aber nicht unser ziel. Wir wollten an den rand der stadt, wo die gefaengnisse und die irrenanstalten sind. Cecilia arbeitet in einer schule fuer geistig behinderte. Die schueler sind von mitte 20 bis 94 jahre alt. In einem kleinen, aelteren und baufaelligen komplex werden hier diese menschen gebildet, beschaeftigt und angeregt. Dabei sind leute, die sprechen koennen oder mehrfach behindert sind oder sich kaum bewegen. Das machen die lehrerInnen mit viel liebe und fast ohne material und mittel. Interessant ist hier ganz besonders, dass es sich hier nicht um therapie im engeren sinne handelt, sondern um kollektive erfahrungen . Das hat mensch den schuelerInnen angemerkt. Sie sind alle sehr freundlich und offen. So oft hintereinander bin ich noch nie gekuesst worden. Als wir dann zum hospital mussten, wo die meisten schuelerInnen leben muessen, war unsere gute laune vorbei. Unglaublich: Riesige krankensaele (40 betten), keine privatsphaere, graue waende, sehr alte schmudlige betten, kahle heruntergekommende aufenthaltsraeume in den menschen schaukelnd herumsitzen. Einige muessen auch fixiert werden, weil sie sich sonst selbst verletzen – wen wunderts. Dazwischen ganz wenige krankenschwestern, die mangel, dreck und das elend verwalten muessen. Wer will dort arbeiten? Wir sind zu einem jungen Autisten gegangen, der gehoerlos ist und fast nichts sieht. Er lag in seinem bett. Einmal am tag fuer 30 minuten wird er aus dem bett geholt, die lehrerin massiert ihn, stimuliert seinen koerper was ihm offensichtlich grosses vergnuegen bereitet, sie machen ein paar taktile uebungen und dann gehen sie hinueber in die schule. Dort hat er koerperlichen kontakt zu anderen und geniesst die sonne. Anschliessend gehen sie zurueck zum bett, wo er die zeit – fixiert – bis zum naechsten tag verbringt. Wenn wochenende ist, bleibt er im bett, in den 2 monatigen ferien auch. Da konnten wir nichts mehr sagen.
Vielleicht noch zum schluss. Gestern nacht ist mir birgit samt oberbett auf den koerper gefallen – wir schlafen hier im doppelstock. Zum glueck etwas schraeg, so, dass ich nur eine kleine schramme habe. Aber das an dem tag, an dem ich untenstehendes lied hochgeladen habe! Wer’s noch nicht gehoert hat: Wenzel hat recht!
